02. April 2024
Erste Praxiserfahrungen mit dem neuen Aktienrecht
Ein gutes Jahr nach dessen Einführung konnten wir bereits vielfältige Erfahrungen gewinnen. Während in unseren Tätigkeiten im Bereich der Nachfolgeregelungen bisher weniger prägnante Auswirkungen zu verspüren waren, sind die Sanierungsmandate sehr stark von den Neuerungen betroffen.
Grundsätzlich haben wir festgestellt, dass diese Bestimmungen in keinem unserer Sanierungsmandate wirklich angekommen sind! Dies gilt erst recht für KMU welche sich für ein «opting-out» entschieden haben, fehlt doch hier die Revisionsstelle als mahnende Instanz. Selbstverständlich ist menschlich nachvollziehbar, dass der Verwaltungsrat in einer Turnaround-Situation seinen Hauptfokus auf das operative Geschäft legt. Gerade für eine stürmische Unternehmungsperiode (wenn die Zukunft ungewiss erscheint), enthält das neue Aktienrecht jedoch einige Bestimmungen, welche als Chancengeber aber auch als Haftungsrisiko für den Verwaltungsrat bedeutsam sind.
Neu ist der Verwaltungsrat nicht mehr verpflichtet, die Bilanz im Überschuldungsfall beim Konkursrichter zu deponieren, wenn begründete Aussicht besteht, dass die Überschuldung innert spätestens 90 Tage nach Vorliegen der geprüften Zwischenabschlüsse, behoben werden kann. Dabei dürfen jedoch die Forderungen der Gläubiger nicht zusätzlich gefährdet werden.
Diese Präzisierung schafft klare zeitliche Voraussetzungen, innerhalb derer sich der Verwaltungsrat gefahrlos bewegen kann. In der Praxis gewinnt er dadurch oft mehr Zeit für die Sanierung der Gesellschaft, ohne sich dem Vorwurf der Konkursverschleppung latent auszusetzen.
Alarmierend sind unsere Erfahrungen bei den neuen Anforderungen an die Liquiditätsplanung. Der Verwaltungsrat muss die Liquiditätsentwicklung der Gesellschaft neu fortlaufend selbst überwachen! Er kann dies nicht mehr einfach an die Geschäftsleitung delegieren. Besteht die begründete Besorgnis einer drohenden Zahlungsunfähigkeit, ist der Verwaltungsrat nämlich verpflichtet, vorausschauend geeignete Massnahmen zur Sicherstellung der Liquidität zu ergreifen und falls notwendig zusätzliche Sanierungsmassnahmen einzuleiten.
Bereits vor der Einführung des neuen Aktienrechtes haben wir unseren Kunden empfohlen eine rollende zwölfmonatige Liquiditätsplanung zu erstellen. Der Verwaltungsrat darf also nicht bis zur Überschuldung der Gesellschaft mit Massnahmen zuwarten, ansonsten riskiert er die Einreichung von Verantwortlichkeitsklagen.
Die zusätzlich eingeführte Möglichkeit, dass die Generalversammlung die Gesellschaft verpflichten kann eine Rückerstattungsklage oder Verantwortlichkeitsklage gegen die Organe einzureichen, erhöht die Dringlichkeit für die Einhaltung der Formvorschriften massiv. Während bisher viele Kleinaktionäre aufgrund des schlechten Kosten-/Ertragsverhältnisses auf die Einleitung von rechtlichen Schritten verzichtet haben, können sie sich nunmehr zusammenschliessen und mittels ihrer vereinten Stimmkraft gegen die Organe vorgehen ohne selber den Gerichtsprozess vorfinanzieren zu müssen.
Vor allem die vorausschauende Überwachung der Liquiditätsentwicklung durch den Verwaltungsrat waren in praktisch keinem unserer Sanierungsmandate professionell umgesetzt. Unabhängig vom neuen Aktienrecht ist eine detaillierte, saubere und nachvollziehbare Überwachung der zukünftigen Liquiditätsentwicklung unabdingbar für den Sanierungserfolg. Dabei sind die formellen Vorschriften auch dann zu beachten, wenn Geschäftsleitung und Verwaltungsrat teilweise dieselben Personen sind.
Gerade wenn ein Unternehmen existenziellen Bedrohungen ausgesetzt ist, empfiehlt es sich aufgrund der schlummernden juristischen Fallstricke einen professionellen Sanierer und natürlich auch einen ausgewiesenen Juristen beizuziehen.
René K. Voser
Managing Partner
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